Stellungnahme „Haus der Natur“

BACKGROUND: Im Sommer 2013 hat der Salzburger Journalist Gerald Lehner im Netzwerk „Stolpersteine“, das sich künstlerisch-wissenschaftlich mit der Erinnerung an Opfer des Holocaust befasst, eine E-Mail mit Informationen über dieses Blog und sachliche Kritik am „Haus der Natur“ geschickt. Im September 2013 hat darauf der Soziobiologe und Vogelforscher ROBERT LINDNER – Projektleiter beim „Haus der Natur“ für zeithistorische Aufarbeitung – mit diesen Zeilen reagiert – ebenfalls an das Netzwerk „Stolpersteine“ – (eine Antwort auf LINDNER von LEHNER ist ganz unten beigefügt):
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Prof. Gert Kerschbaumer hat uns via Prof. Hoffmann die untenstehende E-Mail Nachricht von Gerald Lehner weitergeleitet. Ohne auf die in den ersten beiden Absätzen geäußerten Überlegungen einzugehen möchten wir zumindest zu den beiden abschließenden Absätzen dieses offensichtlich über den Verteiler des Personenkomitees Stolpersteine versandten Newsletters Folgendes anmerken. Hier im Haus der Natur ist niemand an einer schaumgebremste Aufarbeitung der Geschichte interessiert. Ganz im Gegenteil wollen wir die Geschichte unseres Museum in allen Aspekten umfangreich beleuchten und aufarbeiten. Deswegen wird die Geschichte unseres Museum derzeit im Rahmen eines Projektes von einer unabhängigen Arbeitsgruppe unter der Leitung des Geschichtswissenschafters Prof. Dr. Robert Hoffmann bearbeitet. Ein Überblick über das Projekt und die beteiligten Personen kann hier gelesen werden:

http://www.hausdernatur.at/geschichtsprojekt.html

Eine überblicksartige Zusammenfassung der Geschichte des Hauses der Natur haben wir mittlerweile vorab unter folgender Adresse veröffentlicht:

http://www.hausdernatur.at/geschichte-des-museums

Die Ergebnisse dieses Geschichtsprojektes werden im Laufe des kommenden Jahres in Form einer Ausstellung hier im Haus, als Buch und im Rahmen einer Vortragsreihe präsentiert werden. Zum Absatz „Umgang mit kritischen Geistern“ und mit der Sammlung Menschlicher Präparate: Im Juli 2001 stellten die damaligen Abgeordneten Mag. Thaler, Mag. Brenner, Mag. Strebl einen Antrag an den Salzburger Landtag zur Errichtung einer Arbeitsgruppe betreffend der Sammlung der Missgeburten am Haus der Natur. Auf diesen Antrag hin sowie auf Empfehlung des Bildungs-, Schul-, Sport- und Kulturausschusses wurde in Folge eine Expertenkommission eingerichtet. Am 8. Mai 2003 fand die erste Sitzung dieser Expertengruppe statt. Die Arbeitsgruppe setzte sich zusammen aus:

– Landeshauptman a.D. Dr. Hans Katschthaler, damaliger Vorsitzender des Kuratoriums des Hauses der Natur
– Univ. Prof. Dr. Ernst Berger, Mitglied der Ethikommission für die Österreichische Bundesregierung
– HR Dr. Fritz Koller, damaliger Leiter des Salzburger Landesarchivs
– Univ. Prof. Dr. Erwin Resch, PMU Salzburg
– Univ. Doz. Dr. Olaf Rittinger, Humangenetische Beratungsstelle der Landeskliniken Salzburg
– Univ. Prof. Dr. Anna-Maria Frischauf, Inst. Für Genetik der Universität Salzburg
– Prof. Dr. Eberhard Stüber, damaliger Direktor des Hauses der Natur

Die Leitung der Arbeitsgruppe hatte HR DR. Alois Grüner, damaliger Leiter der Abteilung 9, Gesundheitswesen und Landesanstalten. Er erstellte auch die mir vorliegenden Protokolle der Sitzungen. Der von Gerald Lehner zitierte Prof. Dr. Ernst Berger war in die Arbeit dieser Expertengruppe wesentlich eingebunden, hat an allen Sitzungen teilgenommen und soweit es die vorliegenden Protokolle belegen alle Entscheidungen mitgetragen. Die zitierte Stellungnahme Bergers war eine Tischvorlage zur ersten Arbeitssitzung, sie war damit Grundlage für die weitere Arbeit der Gruppe. Im Rahmen der Expertenkommission wurde unter anderem von Fritz Koller (Salzburger Landesarchiv) die Geschichte der Sammlung untersucht und ein Gutachten über die Sammlung bei Prof Robert Jüttte (Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart; Vorstandsmitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Bundesärztekammer, Sprecher des Arbeitskreises „Menschliche Präparate in Sammlungen“ der Deutschen Bundesärztekammer) beauftragt.

Zur Geschichte der Sammlung stellte Koller fest, dass die Sammlung am Haus der Natur aus der ehemaligen Medizinisch-Chirurgischen Lehranstalt (die sog. k.k. anatomische Sammlung) stammt, die bereits 1813 von M. Aberle angelegt wurde. Diese Sammlung wurde nach Auflösung der Lehranstalt dem Salzburger Museum (Stadtmuseum/heutiges Salzburg Museum) übergeben. Nach der Gründung des Naturhistorischen Vereins Salzburg im Jahr 1923 (Trägerverein des damals in Gründung befindlichen Salzburger Naturkundemuseums, später Haus der Natur) wurden alle naturhistorischen Objekte des Salzburger Museums, darunter auch die Präparate der anatomischen Sammlung an den Naturwissenschaftlichen Verein übergeben. Ab 1931 gelangten sie im Haus der Natur (Hofstallgasse) zur Ausstellung. Die bislang vorliegenden Ergebnisse des laufenden Geschichtsprojektes, insbesondere der darin betriebenen Provenienzforschung bestätigen diese Bild und konnten es noch um Details ergänzen. Unter anderem konnten mittlerweile durch den Vergleich mit vorliegenden Inventarlisten des Anatomischen Museums aus dem Jahr 1875 einzelne Präparate dieser Sammlung eindeutig identifiziert werden. Das Gutachten Jütte liegt im Jänner 2004 vor. Als Fazit schreibt Jütte, dass sich in der Sammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Präparat aus der NS-Zeit befindet und dass nichts dagegen spricht, „die medizin- und wissenschaftsgeschichtlich durchaus wertvolle Sammlung weiter in Teilen zu präsentieren und bis auf eine Ausnahme komplett aufzubewahren“. Außerdem empfiehlt Jütte, die Sammlung an das Pathologisch-Anatomische Bundesmuseum in Wien (Anm: heute Teil des Naturhistorischen Museums) zu übergeben – u. a., weil dort die konservatorische Behandlung sichergestellt werden kann und dort die Präparate in einem entsprechenden wissenschaftlichen Umfeld aufbewahrt werden. Jütte empfiehlt nur in einem Fall eine andere Vorgangsweise, das Gehirnpräparat einer im April 1934 im St. Johanns Spital verstorbenen, namentlich bekannten Person sollte bestattet werden. Robert Jütte ist übrigens kein Naturwissenschaftler, er studierte vielmehr Germanistik und Politikwissenschaften und ist als Professor für Neuere Geschichte habilitiert, zur Person Jütte:

http://www.igm-bosch.de/content/language1/html/10985.asp

Beide Empfehlungen – sowohl die Übergabe der Sammlung, als auch die Bestattung der sterblichen Überreste der bekannten Person – wurden im Frühjahr 2004 durchgeführt. Das Haus der Natur hat also noch während der Direktion von Prof. Stüber alle von den Experten vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt. Alle bislang durchgeführten Untersuchungen (sowohl historische als auch medizinische) haben keine Hinweise ergeben, dass sich in der Sammlung Präparate von Opfern aus der NS-Zeit befanden. Auch die Ergebnisse der momentan laufenden Untersuchungen bestätigen dieses Bild. Die Arbeit dieser Expertengruppe und die Entscheidung über die Abgabe der Sammlung fanden noch unter der Direktion von Eberhard Stüber statt. Keine der in das momentan laufende Geschichtsprojekt involvierten Personen war in diese Entscheidungen eingebunden. Auch mit heutigen Wissensstand bin ich der Meinung, dass die damalige Vorgangsweise in Übereinstimmung mit aktuell gültigen ethischen und moralischen Überlegungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen ist (z.B. Deutscher Museumsbund 2013: Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen; dieses und zahlreiche andere relevante Dokumente findet man auf folgender Seite des Deutschen Museumsbundes:

http://www.museumsbund.de/de/das_museum/ethik_standards/museumsethik/exkurs_menschliche_ueberreste_in_museen_und_sammlungen/)

Die kritische Beurteilung der Verwendung der Präparate in der Ausstellung, auch im Kontext der NS Ideologie ist Gegenstand des laufenden Projektes. Alle diese Informationen haben wir auch Gerald Lehner Ende letzten Jahres auf seine Anfrage hin zur Verfügung gestellt. Die mehrmalige Einladung, sich bei einem Besuch im Haus der Natur selber ein Bild von den laufenden Arbeiten zu machen hat er bislang abgelehnt. Sollten Sie noch weiterführende Fragen haben, stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit besten Grüßen

Robert Lindner

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Dr. Robert Lindner
Verein Haus der Natur – Museum für Natur und Technik (ZVR: 783468358)
Sammlungsleiter, Leiter des Biodiversitätszentrums
Museumsplatz 5, 5020 Salzburg
Tel: +43 (662) 84 26 53 – 3314
Fax: +43 (662) 84 26 53 – 99
E-Mail: robert.lindner@hausdernatur.at
http://www.hausdernatur.at
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ANTWORT von GERALD LEHNER auf diese Stellungnahme aus dem „Haus der Natur“:
Liebe Stolpersteinler,
sehr geehrte Damen und Herren!

Vielen Dank für die Übermittlung dieses Schreibens aus dem „Haus der Natur“. Länge und Vielzahl der Wörter ändert nichts am sachlichen Inhalt bzw. Kern meiner Zeilen und meiner Kritik. Die Schilderung bürokratischer Abläufe und Hindernisse von 2003 bis heute bringt wenig Fortschritt bzw. Licht in die Angelegenheit.

1. Weder ERNST BERGER noch GERT KERSCHBAUMER wurden in die laufende, so genannte Aufarbeitung einbezogen. Dass Professor Berger vor vielen Jahren einmal konsultiert wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass seine Kritik am „Haus der Natur“ weiterhin verhallt. ER WURDE FÜR DAS LAUFENDE PROJEKT NICHT EINGELADEN ODER KONTAKTIERT. Ich habe erst jüngst mit ihm telefoniert. BERGER erhält die – indem von mir zitierten Bericht – geäußerte Kritik an der Institution aufrecht. Auch er befürwortet eine unabhängige und weisungsfreie Expertenkommission. BERGER ist auch Vorsitzender des Dachau-Komitees. Dazu kommen vielerlei kritische Anmerkungen des Museologen GOTTFRIED FLIEDL zum „Haus der Natur“ in den vergangenen Jahrzehnten.

2. Nicht nur aus mehreren Gesprächen mit dem damals zuständigen Politiker im Kuratorium ist mir bekannt, dass der Salzburger Historiker ROBERT HOFMANN das Gesamtprojekt nicht leitet, wohl jedoch den zeithistorischen Teil, der die Biografie von EDUARD PAUL TRATZ betrifft. Würde er das Gesamtprojekt leiten, dann wären die Antwortzeilen auf meine Kritik wohl aus seiner Feder gekommen. Diese kommen jedoch vom Projektleiter ROBERT LINDNER, einem Mitarbeiter und persönlich engen Freund des aktuellen Museumsdirektors NORBERT WINDING. Das ist keine unabhängige Bearbeitung!

3. Der Missbrauch der präparierten Kinder in Spiritusgläsern für die Förderung der NS-Ideologie und ihre Verwendung über Jahrzehnte nach dem Krieg bis in unsere Zeit – diese beiden Dinge haben wenig oder kaum etwas mit der eigentlichen Herkunft der Leichen bzw. Föten zu tun. Für viele liegt der Verdacht seit langem nahe, dass hier der Sozialdarwinismus bis in die jüngste Vergangenheit – zumindest indirekt und unkommentiert – propagiert worden sein könnte. Unabhängig von der Jahreszahl bei der Geburt dieser Kinder.

4. Es gibt bis heute keine unabhängige und vom Museumsverein sowie der Parteipolitik bzw. den Landesbehörden unabhängige Expertenkommission.

5. Es ist ein eigenes Projekt im „Haus der Natur“ und aus dieser „Natur“ heraus problematisch. Es wird in großen Teilen unter Akteuren organisiert und abgewickelt, die seit langer Zeit auch privat befreundet sind.

6. Bei meinem Ersuchen und meiner Forderung, dass sich nicht nur unabhängige Historiker um das Thema kümmern sollten, bleibe ich. Politik- und Kulturwissenschafter sollten eingebunden werden. Weisungsfrei von Museumsverein, Vereinsbediensteten und Landespolitik.

7. Der mehrdeutige, bizarre und unbeholfene Ergänzungstext zur Tibetschau des Kriegsverbrechers und SS-Anthropologen Bruno Beger, der erst vor wenigen Jahren nach meiner/unserer Kritik von der Museumsleitung bei der Tibetschau angebracht wurde, ist ein weiteres und AKTUELLES Beispiel. Wichtig wäre eine museologisch-historisch fachkundige, umfassende und unabhängige Bearbeitung des Themas. Auch Rollen der Landespolitiker und der Museumsführung(en) sollten dabei analysiert werden können.

Mit freundlichen Grüßen,
Gerald Lehner
https://hausdernatur.wordpress.com

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